Anne über Spießigkeit

Anne
"Angst treibt einen weiter" - Der Lebensweg von Anne nahm zahlreiche Biegungen. Fotos: Marlene Mondorf

Kinder wollen gemeinhin vieles werden. Astronaut zum Beispiel oder Schauspielerin, Fußballprofi oder Prinzessin. Hauptsache berühmt oder extravagant, am besten gleich beides. Anne dagegen wollte als Kind immer nur eines werden: möglichst spießig. „Ich habe mir im Otto-Katalog Rüschen-Gardinen und Kaffee-Service angeguckt. Ich wollte einen Vater, der Polizist ist“, erzählt sie. Ungewöhnliche Wünsche sind das für ein Kind, doch diese kamen nicht von ungefähr. „Wir waren immer die totalen Exoten“, sagt Anne. „Ich hatte irgendwann genug davon.“

 

Ständig gab es Gerüchte

 

Dabei mutet Annes Lebensweg zunächst nicht allzu ungewöhnlich an: Als Tochter einer Pädagogin und eines Künstlers ist sie groß geworden. Die Mutter arbeitete als Lehrerin, vornehmlich der Vater, ein ebenso intellektueller wie verschrobener Geist, zog sie und ihren Bruder groß. Das entscheidende Detail aber: Dieses Rollenmodell war in einer CDU-geprägten Kleinstadt der 70er-Jahre nahe der Schweizer Grenze alles andere als üblich. Als exzentrisch bezeichnet die 44-Jährige ihre Familie bis heute, „ständig gab es irgendwelche Gerüchte“. Als Kind hat sie das sehr belastet. Und so war für Anne schnell klar, wohin sie strebt. Das Reihenhaus mit Vorgarten und einen Familienkombi in der Garagenauffahrt, das war ihre Vorstellung. Normal sein, gewöhnlich.

Im Nachhinein ist Anne dankbar

 

Zuvor aber ruhig Karriere machen, das schon. Als Maskenbildnerin war sie auf einem guten Weg. Sie hatte am Theater gearbeitet und später in Köln beim Fernsehen, große Produktionen, große Namen. „Da fühlt man sich schon auf dem Zenit“, sagt sie heute. Doch genau in dieser Situation wird Anne schwanger – und erlebt in der Folge eine „Altertümlichkeit, die ich mir so nicht mehr vorstellen konnte“.

 

Als junge Mutter passte sie plötzlich nicht mehr in die hippe Medienwelt, in der Flexibilität und Unabhängigkeit über allem zu stehen scheinen. Die damals 36-Jährige wurde richtiggehend aus ihrem Job geekelt, wie sie erzählt. Mit der Vorgarten-Idylle klappte es allerdings auch nicht. Die Trennung von ihrem damaligen Partner kam schnell. Anne war nun nicht nur allein erziehend, sie wurde ebenso unversehens zur Vollzeitmutti. Gerade sie, die schon zuvor Angst vor der Fremdbestimmung durch ein Kind hatte, wie sie bekennt.

Im Nachhinein sei sie für diese Lebenswendung aber fast dankbar, meint Anne. Nie hätte sie sich vorstellen können, was ein Kind mit einem macht. „Für Lotta da zu sein, war ein absoluter Gewinn.“ Karriere-Pläne tauschte sie nun ein gegen das Gefühl, Nähe zulassen zu können. Und Verantwortung im Job gegen die, mit viel Zeit und Liebe einem Kind „Stärke für die Zukunft mitzugeben“. Annes Blick auf ihre Tochter verrät in diesem Moment, dass sie sich dabei auf einem guten Weg sieht.

 

"Vetrauen in mich, in Freunde, ins Leben"

 

Doch Lotta ist nun bereits acht, „sie wird langsam flügge, macht immer mehr ihr eigenes Ding“. Für ihre Mutter bedeutet dies, dass sie nun, als Mittvierzigerin, wieder etwas komplett Neues machen wird, machen muss. Derzeit knüpft sie Perücken für eine Theaterproduktion, was ihr viel Spaß macht, arbeitet aber hauptsächlich als Kellnerin und Barista im Nippeser „Café Pause“. Sie mache das wirklich gerne und mit Leidenschaft, sagt Anne. „Aber von der Leidenschaft alleine kannst Du nicht leben. Der Einkommensunterschied zu meinem früheren Job ist riesig.“

Wieder eine Festanstellung in der Medienbranche zu finden, wird aber nicht leicht werden nach all den Jahren, da macht sie sich nichts vor. Als freie Maskenbildnerin zu überleben, wäre allerdings gleichermaßen schwierig. Für alle ihre weiteren Ideen und Interessen, sei es der Beruf der Restauratorin oder auch etwas im sozialen Bereich, müsse man dagegen lange Ausbildungen einplanen, sagt Anne. Doch daran ist bei ihr nicht zu denken, „das übersteigt im Moment meine Mittel.“

 

Und so macht sich die 44-Jährige durchaus auch Sorgen über die Zukunft. Aber das sei wahrlich nicht das erste Mal. Anne sagt das mit einem überraschenden Lächeln. „Angst treibt einen weiter“, erklärt sie dann. Das Durchleben existenzieller Sorgen habe sie im Laufe der Jahre mutiger werden lassen, ihr letztlich auch Vertrauen geschenkt: „In mich, in Freunde, ins Leben.“ Dass sie dieses nun doch wieder unkonventionell führt, mit allen Unwägbarkeiten, liegt möglicherweise in ihren Genen. Spießig kriegt Anne einfach nicht hin.                                         Achim Graf

 

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