Wolfgang über Begabungen

Irgendwann hat sich Wolfgang rausgezogen. Aus seinen sozialen Bezügen, aus seinem Beruf, eigentlich aus allem. Er hat sein Leben hinter sich gelassen, ein neues angefangen. Vor allem aber hat er „sich die Sinnfrage gestellt“, wie er heute sagt. Die Suche nach der Antwort allerdings war nicht immer leicht. Dass er dadurch ein besserer Mensch geworden ist, das mag er nicht von sich behaupten. Dass es sich dennoch gelohnt hat, das aber schon. „Ganz bestimmt“, sagt er. Und man glaubt, in diesem Moment in seinem Gesicht ein Lächeln zu erkennen.

 

"Die Leute lenken sich ab"

 

Das ist bei Wolfgang nicht häufig der Fall. Doch der 46-Jährige wirkt nicht missmutig oder gar verbittert. Dafür erzählt er viel zu enthusiastisch, mit großer Geste, hier auf der Parkbank im grünen Norden von Neu-Ehrenfeld. Dies gilt vor allem, wenn er dann über die für ihn wirklich wichtigen Dinge spricht. „Unsere eigenen Gedanken und Gefühle hinterfragen und dadurch die eigenen Begabungen überprüfen, darum geht’s“, sagt er dann etwa. Doch das finde in der heutigen Gesellschaft leider immer weniger statt. „Die Leute lenken sich vor allem ab.“

Für Wolfgang werden dadurch Chancen vergeben. Denn nur wer die eigenen Begabungen erkenne, der finde zu sich selbst, davon ist er überzeugt. Vor kurzem habe er einen Jugendlichen in der Südstadt beobachtet, der mit Stäben jongliert habe, erzählt er. „Der Junge war wirklich begabt“. Und nur dadurch komme es zu dem, was Wolfgang "Spielen und Lernen" nennt – und was man bei dem Jugendlichen habe beobachten können: „Dieser Wechsel aus Frustration und Gelingen, was irgendwann zur Meisterschaft führt.“

Wolfgang hat auch gelitten

 

Wolfgang selbst hat sehr viele Begabungen bei sich erkannt, seitdem er sich auf die Suche gemacht hat. Eine seiner größten war wohl die, Möbel restaurieren zu können. Er ist nicht nur gelernter Diplom-Restaurator, nein, „ich habe diesen Beruf geliebt", sagt er. "Das habe ich aber erst später reflektiert“. Wie er sich damals reingefuchst hat, in kleinste Details. Wie er nur wenige Millimeter breite Intarsien ergänzt hat. „Mir hat das Spaß gemacht, ich konnte das auch“, sagt Wolfgang – nur um gleich hinterherzuschieben: „Aber das ist verlorengegangen.“

 

Wolfgang ist durch eine tiefe Krise gegangen, das erzählt er freimütig. Auf der Strecke blieb dabei nicht nur sein geliebter Beruf. Er hat auch gelitten. Doch das muss so sein, glaubt Wolfgang. „Man muss die Todsünden erst erfahren haben und erkennen, dass es schmerzhaft ist. Der Text alleine ist nicht Synapsen bildend.“ Durch die nachfolgende Buße, auch eine gewisse Trauer, habe er nämlich sehr viel für sich selbst mitgenommen: Einfühlungsvermögen, Mut, Entschiedenheit.

Seine neue Liebe: die Philosophie

 

Was er jedoch vor allem gewonnen hat, das ist eine neue Liebe: Seine Liebe zum Hinterfragen der Dinge. Wolfgang beschäftigt sich nun mit den großen Philosophen, von Aristoteles bis Albertus Magnus, von Platon bis Foucault. Von den modernen Denkern schätzt er vor allem Sloterdijk. Er sei der Philosoph, der die ganze Gedankengeschichte überblicke, sagt Wolfgang – und lässt sich von ihm inspirieren.

 

„Ich arbeite an einer psychologischen Philosophie“, verrät der 46-Jährige dann. Das ist für ihn auch so etwas wie Rechtfertigung, sich aus allen Bezügen rausgezogen zu haben, selbst aus der Erwerbsarbeit, „um mich dieser Betrachtung zu widmen“. Gegen das Wort „Werk“ sträubt er sich zwar. Bei aller Bescheidenheit hofft er aber schon, „dass mein Text der Gesellschaft etwas geben kann“.

 

Darin wird es unter anderem um den Konflikt zwischen Erkenntnis und Glauben gehen. Wie, spätestens seit Albertus Magnus, die Wissenschaft in ihrem Erkenntnisdrang immer weiter ins Detail gehe, wir aber dabei die großen Bezüge, wir dabei Gott verloren hätten. „Nicht als der Vater im Himmel. Sondern als Kraft, die vorhanden ist und irgendwie trägt“, meint Wolfgang „Wenn, ja wenn sie denn bewusst wird.“ Was letztlich zu diesem Bewusstsein führen kann, das sind für ihn die Erfahrungen, die man macht, die Gefühle, die man hat – und die nachfolgende Reflexion. Auch wenn’s weh tut. Denn in einem ist sich Wolfgang sicher: „Wer keine schmerzhaften Erfahrungen gemacht hat, der führt kein vollständiges Leben.“

Achim Graf

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