Michael über den Tunnelblick

Michael von Kaler
"Kein Brief, keine Mail, nichts." - Für Michael ist mangelnde Resonanz auf seine Arbeit oft frustrierend. Fotos: Marlene Mondorf

Der Busch am Rande des Kölner Stadtgartens trägt zartrosa Blüten. Nichts Ungewöhnliches soweit. Das Besondere allerdings ist: Er trägt diese das ganze Jahr über. Denn die Blüten sind aus Kunststoff, in mühsamer Handarbeit hat Michael hunderte von ihnen an die Zweige geheftet. Doch selbst im vergangenen Winter, als die Blüten unter einer dicken Schneedecke hervorlugten, ist das kaum jemandem aufgefallen. Die Passanten haben Blüten im Schnee einfach akzeptiert. Für Michael war das frustrierend. „Was ich vermisse“, sagt er, „das sind offene Augen“.

Michael ist Künstler, seit 25 Jahren schon. Heute allerdings sitzt er vor seinem Atelier direkt neben dem Busch – und denkt nach. Über den Tunnelblick der Leute zum Beispiel. Viele würden sich ja gar nicht mehr umgucken, beklagt er. „Dass es, neben ihrem Wunsch, zum Supermarkt zu kommen, auch noch etwas anderes gibt.“ Für dieses Andere ist nicht selten der 50-Jährige verantwortlich – wenn es denn irgendjemand bemerkt.

 

Das Feuilleton hat ihn längst entdeckt

 

Was hat er nicht alles schon gemacht im zurückliegenden Vierteljahrhundert: hat diverse Leuchtobjekte in Bäume gehängt, das Dach der Volkshochschule am Neumarkt in ein virtuelles Zeltlager verwandelt oder vor der Stadtbibliothek eine Esche mit 15 000, ebenfalls künstlichen Blüten ausstaffiert. „Aber das hilft ja alles nichts“, meint Michael lakonisch. „Selbst das hat kaum jemanden interessiert.“

 

Das Feuilleton freilich hat ihn schon lange entdeckt. Als er auf der Zeche Zollverein 1998 einen riesigen Feuerkreis installierte, berichtete sogar die FAZ. Ein großes Bild, sein Name dabei. Den vergilbten Zeitungs-Ausriss zeigt der Künstler nicht ohne Stolz. Doch die Anfragen, die er daraufhin erwartet hatte, blieben aus. „Kein Brief, keine Mail, nichts.“

Genauso, als er den Stadtgarten einst komplett in grünes Licht tauchte. Niemand kam danach auf ihn zu. „Vielleicht“, mutmaßt er, „hätte ich an jeder Laterne einen Aufkleber anbringen sollen: Ein Kunstwerk von Michael von Kaler.“

 

Aber Michael ist einfach kein Geschäftsmann. Sein letzter aktiver Galerist ist irgendwann im Knast gelandet. „Versuchter Mord, auch nicht grade Karriere fördernd.“ Ja, sagt er dann, es sei zum Teil schon bitter. Gerne würde er von seiner Kunst leben, doch das gelinge nur zur Hälfte. „In der anderen Hälfte mache ich Ausstellungsbau.“ Für die Kölner „Passagen“ hat Michael viel gearbeitet oder dem berühmten Designer Gaetano Pesce 2006 ein Fischernetz in die Christuskirche gehängt. Okay, das sei nicht das Schlechteste, räumt er ein. „Aber bei solchen Arbeiten habe ich meistens nicht viel zu sagen.“

So viel zu erzählen - durch die Kunst

 

Dabei gäbe es doch so viel, was er erzählen will. Nicht als Botschaft, damit habe er es nicht so, betont er. „Konzeptkunst ist nicht das, was ich mache.“ Der Sinn seines drei Meter großen Kranzes aus 200 Glühbirnen etwa, der derzeit im Atelier liegt, muss sich aus sich selbst heraus erklären. „Ich kann es nicht anders, als durch meine Skulpturen“, sagt er. „Sonst würde ich es anders machen.“

 

Kinder kümmern solch theoretische Diskussionen nicht. Und deshalb hat Michael es auch so gerne, wenn diese seine Kunst angucken. „Kinder“, sagt er, und seine Miene hellt sich schlagartig auf, „Kinder sind im Grunde die Besten. Die sind unbeleckt, die sagen die Wahrheit.“ Deren Lob bedeutet dem Künstler dann auch weitaus mehr, als das „von irgendeinem verklemmten Erwachsenen“.

 

Doch Kinder sind gerade keine in der Nähe. Macht nichts, Michaels gute Laune ist zurück. Ihm wird mal wieder bewusst, „dass ich das schönste Atelier der ganzen Stadt habe“. Seit gut zehn Jahren arbeitet er in diesem von Hans Schilling entworfenen Quaderbau im Nordosten des Stadtgartens. Wie die Kirche Neu St. Alban direkt nebenan wurde auch dieser Ende der Fünfziger Jahre aus Trümmerziegeln der Alten Oper erbaut. „Als Atelier für die Frau des damaligen Dombaumeisters. Das war Klüngel, ganz klar.“ Michael ist erst der zweite Nutzer, und auch nur deshalb, „weil ich als direkter Nachbar der erste war, der gefragt hat.“

Love hat er sich auf die Fahne geschrieben

 

So sitzt er nun also beim Denken vor diesem schmucken Klinkerbau inmitten von exotischen Bäumen. Der Park sei ja einst Showroom der preußischen Baumschule gewesen, erklärt Michael. Dann zeigt er plötzlich auf die Flagge auf dem Dach des Ateliers. Love hat er sich quasi auf die Fahne geschrieben; Liebe, die über allem steht, weil sie ja doch das Wichtigste sei, „in allen Zusammenhängen“.

 

Seinen Frust, seine Enttäuschung hat Michael jetzt völlig vergessen. Und falls sie doch irgendwann zurückkommen, wird er verfahren wie immer: Er wird aufstehen, ins Atelier gehen und „seine Sache“ machen, wie er das nennt. Denn trotz allem, „Kunst hilft mir immer“.

Achim Graf

 

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